Alle Jahre wieder... tönte es aus den Lautsprechern des Kaufhauses. Wieso? Wieso, wieso, wieso, WIESO? Wieso musste Weihnachten dieses Jahr genau gleich sein, wie in den anderen Jahren wieso musste ich, wie  jedes Jahr, in diesem bescheuerten Krippenspiel die Maria spielen und wieso musste der Josef, wie jedes Jahr, dieser verpickelte Brillenträger Arne sein? Konnten wir nicht dieses Jahr ausnahmsweise mal wegfahren. Meinetwegen nach Amerika. Klang doch gut "Weihnachten in Hollywood". Aber als ich das meinen Eltern erzählte, meinten mein Vater nur ganz entsetzt: "Wegfahren? An Weihnachten? Nach Hollywood? Na da hast du dir ja ne schön verwöhnte Tochter herangezogen." Und als ich mit dem Pfarrer redete und ihm versuchte klarzumachen, dass ich dieses Jahr viel lieber ein Schaf wäre, als die Maria, brummte er missmutig: "Schof ham ma scho g'nug" und ließ mich stehen. So viel zu der weihnachtlichen Nächstenliebe. Sogar meine beste Freundin Tanja meinte "Ach komm, so schlimm wirds schon nicht werden. Das stehst du durch." Pah, die hatte doch keine Ahnung!!! Sie verbrachte den Gottesdienst damit mit ihrem Freund rumzuknutschen, während ich mit einer pickeligen Brille spielen musste. Bei der letzten Probe hatte ich mal gezählt, im Moment waren es genau 43 1/2 Pickel. Wie die wohl alle in einem Gesicht Platz hatten?
Weihnachten rückte näher und näher. Die letzten Weihnachtsgeschenke wurden gekauft und verpackt, die letzten Adventskalendertürchen geöffnet. Und schließlich war es soweit. Es war der 24.12. Es war Weihnachten.
In 3 Stunden war ich mit 44 Pickeln verheiratet. Jawohl, 44. Aus dem Halben war jetzt doch ein Ganzer geworden. Komischerweise war ich aufgeregt, obwohl es doch jedes Jahr die selbe Prozedur war. Aber das gehörte wohl zu Weihnachten, genauso wie Oma an ihrer Geburtstagsfeier jedes Jahr nach dem "Hoch soll sie leben" vor lauter Rührung das Gebiss rausfällt...
Noch 2 Stunden. Noch 2 Stunden und 59 Minuten. Gott, krochen die Zeiger langsam voran!!! Noch 1 Stunde. Tick, tack, tick, tack. Endlich, ich musste los. Schnell schlüpfte ich in mein Maria Kostüm und ließ mich von Paps zur Kirche kutschieren. Ich hatte meine Hoffnung schon längst aufgegeben, dieses Jahr ein anderes Krippenspiel zu haben und stellte mich brav meinem Schicksal fügend auf die Bühne. Zusammen mit Arne ging ich von Wirt zu Wirt und flehte die Leute an, uns doch hineinzulassen. Doch, hey, als wir bei Wirtin Nr 3 angekommen waren und Arne wie jedes Jahr seinen Text so langweilig runterratterte, dass eigentlich die ganze Kirche schlafen müsste, sprang plötzlich Jan, ein Junge aus meiner Klasse auf, stellte sich demonstrativ neben mich und fing an Arnes Text mit richtiger Dramatik in der Stimme aufzusagen. Jan... Ich seufzte innerlich. Er war der Traumtyp schlechthin, hatte wunderschöne, braune Haare, blaue Augen, keine Brille und KEINEN einzigen Pickel. Arne begann langsam zu zittern und fiel schließlich heulend zu Boden. "Ich wollte unbedingt den Josef spielen, doch der Pfarrer hat mich nicht gelassen. Marie, ich finde dich wunderbar. Du bist das wundervollste Mädchen, dass ich kenne. " , flüsterte mir Jan ins Ohr. Ich konnte nicht aufhören zu strahlen, beugte mich zu ihm hinüber und küsste ihn. Und die ganze Kirche sprang auf und jubelte, außer Arne, der immer noch wimmernd am Boden lag und jammerte, man hätte ihm seinen ganzen Stolz weggenommen und er könnte sich nie wieder in dieser Stadt blicken lassen und überhaupt. Und wir hörten nicht auf uns zu küssen, bis schließlich der Engelschor anfing zu singen "Alle Jahre wieder..."
Na, wenn das mal nicht andere Weihnachten waren!!!