„Scheiße!“
„Ach komm schon, Anja. Das ist nur eine Mathe-Note und sonst nichts.“
„Das ist nicht nur eine Mathe-Note, sondern das ist eine Katastrophe! Eine 3 in Mathe, furchtbar!“
Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte sie sich nur so aufregen? Klar, Mathe war ihr Lieblingsfach (was eigentlich nur an der Lehrerin lag, die sie so lustig fand), aber eine 3 war immer noch mehr als akzeptabel und irgendwann musste so etwas mal kommen, auch bei Anjas Noten.
„Lucy, du hast keine Ahnung. So etwas ist ganz schlimm für mich! Und ich habe nicht mal einen Grund, warum ich eine schlechte Note habe! Verstehst du? Ich wusste doch alles, ich habe gelernt! Das heißt, ich habe nicht gelernt, aber...“
Jetzt regte sie sich auf. Immer wenn sie sauer war oder etwas nicht für gut befand, fing sie an zu reden, zu reden und zu reden.
„Okay, Anja. Warum hast du denn nicht gelernt?“ Ich fing an wie eine Psychologin, die einen behinderten Patienten fragte, wie er hieß und er wusste es nicht. (Sorry, ist jetzt keine Beleidigung an Behinderte!)
„Weil ich nachgedacht habe über...“
„Lukas?“, riet ich
„Ja“, war ihre knappe Antwort.
Lukas war ihr Held. Ihr absoluter Held, er war ihr Retter in der Not. Sie war hoffnungslos in ihn verliebt seit dem Skilager. Er war ein cooler Typ, beliebt, sah gut aus und zahllose Mädchen standen auf ihn. Aber ich wette, keine von ihnen war so in ihn verliebt, wie es Anja war.
„Anja, das ist es! Du denkst zu viel über Lukas nach und das ganz um sonst! Ich meine, was bringt dir das denn überhaupt?“
„Ich denke an ihn.“ Sie setzte ihr seliges Lächeln auf und starrte in den Sonnenuntergang, der nur für sie vorhanden war. Verliebte Freundinnen!
„Mal angenommen, du würdest nicht auf ihn stehen, dann hättest du jetzt eine gute Note in Mathe. Was ist dir wichtiger?“
Erschrocken starrte sie nun mich an. „Lukas natürlich!“
Ich nickte und ich seufzte. „Weißt du, Anja, ich denke einiges war einfacher, als wir noch nicht im Skilager waren.“
„Sag so etwas nicht!“
Mit hochgezogenen Augenbrauen fing ich an, mich zu erinnern...
Wir waren alle in einem Zimmer gewesen, es war das Zimmer von drei Mädchen aus unserer Klasse. Dort saßen alle Mitschüler und ein Parallelschüler, Lukas
Ach ja, waren das glückliche Zeiten gewesen! Lukas war Lukas und Anja war Anja, aber jetzt waren es Lukas und Anja und Anja und Lukas. Zumindest in Anjas Träumen.
Und dort saß sie. Neben unserer ehemals besten Freundin (na ja, damals eigentlich auch nicht mehr wirklich) Jana. Oder eher hinter ihr. Und dann fing die Flasche an, sich zu drehen. Zuvor hatte sie auf Lukas gezeigt, dass hieß, das Mädchen, auf das die Flasche als Nächstes zeigte, würde ihn küssen.
Und langsam hörte sich die Flasche auf zu drehen und zeigt auf Anja! Nein, auf Jana. Oder doch auf Anja?
Ich war nicht die Einzige, die Probleme mit der Entscheidung hatte.
„Okay, auf wen zeigt die Flasche jetzt?“, fragte ein Typ aus meiner Klasse.
„Keine Ahnung, vielleicht sollten sie Fli-Fla-Flu machen!“, schlug ein Anderer vor.
Erst wollte Jana Anja dazu überreden, sich freiwillig küssen zu lassen, aber dann machten sie doch. Und Jana verlor, was bedeutete, dass Lukas Jana sechs Küsse geben musste.
Auf Stirn einmal, auf beide Wangen zweimal und einmal auf den Mund.
Sah ganz nett aus, dachte ich. Na ja, nichts Besonderes halt.
Am Wochenende gestand mir Anja dann: „Ich bin in ihn verliebt.“
„Aber warum hast du dich dann nicht von ihm küssen lassen?“, fragte ich.
„Na, da habe ich ja noch nicht verstanden, dass ich in ihn verliebt bin!“
Von mir nur ein tiefer Seufzer.
„Fuck!“
„Nicht so laut, Lucy.“
Sie sah mich wütend an und meinte dann: „Weißt du eigentlich, worüber ich mich gerade aufrege?“
Ich schüttelte den Kopf und fragte: „Worüber denn?“
„Darüber, dass Mr Arschloch ein Arschloch ist!“
Fragend blickte ich sie an und sie fing an zu erklären.
„Er hat mir geschrieben, dass ich eine kindische Einstellung habe. Hast du gehört? Eine kindische Einstellung!“
„Ja ja, eine kindische Einstellung“, wiederholte ich gleichgültig.
„Mann, Anja!“
Lucy war verliebt. Und die Betonung liegt auf war. Es war ein Typ aus einem Jahrgang über uns. Ich persönlich fand ihn irgendwie blöd, aber was soll’s, es ging mich ja nichts an. Lucy schrieb sich mit ihm in Lokalisten und anscheinend schien er irgendetwas Blödes geschrieben zu haben. Ach ja, genau. Sie wollte wissen, wie Französisch so ist, weil er ein Jahr älter ist als wir und dieses Fach schon hat. Er meinte, man müsse viel lernen, aber sonst geht es. Und dann antwortete Lucy, dass sie Lernen hasst und er erwiderte eben darauf, dass sie eine kindische Einstellung habe, weil sie nicht gerne lernt.
Unsere Freundin Lisa war total empört davon. Sie war der festen Überzeugung, dass aus Lucy und diesem Typen, Julian, etwas werden würde. Na ja, Hoffnung geplatzt.
„Dieser Arsch! Man muss vielleicht lernen, aber deshalb muss man es doch nicht gleich lieben!“
Sauer nickte Lucy und ich fügte hinzu: „Eindeutig ein Streber!“
Die nächsten Wochen regte sich Lucy einfach nur auf, wenn sie Julian sah und ihre Verliebtheit sank von 100 auf 0. Tja, so schnell kann das gehen.
Was bei mir ganz und gar nicht der Fall war. Und das Traumhafte war: Ich sah ihn wirklich immer und überall! Und außerdem hatte ich das Gefühl, dass er mich immer ansah. Zumindest, wenn ich ihn nicht gerade ansah. Er betrachtete mich immerzu und ich war furchtbar aufgeregt.
„Lucy, soll ich ihn fragen, ob er mit mir ins Kino will?“
Sie nickte heftig. „Ja, mach das!“
Ich fragte und erst meinte er, das wäre super, er würde sich freuen und ich war überglücklich. Bis zu Lisas Party...
Wir waren in einem Diskoraum eines Jugendzentrums, dass Lisa und Lise, eine weitere Freundin, reserviert hatten. Die Stimmung war super, alle tanzten, futterten und es machte einen Mega-Spaß.
Es gab auch einen Computer dort und dummerweise hatte ich die tolle Idee, an den Computer zu gehen, wo ich nachsehen wollte, ob mir Lukas wieder geantwortet hatte. Ich loggte mich in Lokalisten ein und klickte auf Nachrichten. Ja, er hatte mir tatsächlich geantwortet! Ich klickte auf die Nachricht. Und dann erwartete mich ein Schrecken.
Sorry, ich habe keine Zeit. Wir müssen an diesem Wochenende meine Oma besuchen, wusste ich vorher nicht.
Das war alles, was ich las. Schnell loggte ich mich aus und stieß die verdammte Tür auf, rannte hinaus und stockte; Lucy und zwei weitere Freundinnen übten gerade für den Tanzwettbewerb, der gleich stattfinden sollte. Ich starrte sie an und rannte dann weiter. Bog um eine Ecke, rannte weiter. Und weiter.
„Scheiße!“
Sara schimpfte, dass sie unseren Tanz nicht gut fand und sie sich die Schritte nicht merken konnte. Ich nickte nur und starrte immer noch an die Stelle, an der Anja um die Ecke gebogen war. Wo war sie hin? Was war passiert? Ich wusste, dass etwas los war. Sie war traurig.
„Ich komme gleich wieder“, meinte ich kurz zu Sara und Gabi, dann rannte ich los. Dorthin, wo Anja gerannt war. Zumindest zuerst.
Verdammt, wo war sie hin? Ich fand sie nicht. Links war ein Spielplatz, rechts ein Sportplatz, vor mir eine riesige Wiese. Ich suchte das Gelände nach ihr ab, aber ich erblickte sie nirgends. Bis ich sah, wie jemand in einen Sandkasten sprang. Anja!
Schnell rannte ich zu diesem Sandkasten und gerade kam sie barfuss wieder zurück, ging an mir vorbei und setzte sich, ihre Schuhe anziehend, auf eine Bank. Oder so etwas Ähnliches.
Ich folgte ihr und setzte mich neben sie.
„Anja?“
Sie antwortete nicht.
„Was ist los?“
Einen kurzen Augenblick sagte sie wieder nichts, dann antwortete sie leise: „Er kann nicht...“
Ich wusste sofort, wen sie meinte.
Ich nahm sie in den Arm und sie fing an, zu schluchzen.
"Verdammt, immer hat er keine Zeit! Immer, wenn ich etwas mit ihm machen will, hat er eine Ausrede parat, warum er sich nicht mit mir treffen kann!"
Wir schwiegen einen Moment, als plötzlich jemand nach uns rief. "Anja, Lucy! Da seid ihr!"
Lise kam wütend auf uns zu. "Wir haben euch überall gesucht! Das Gelände hier darf nicht betreten werden, meine Eltern tragen die Verantwortung! Und außerdem könntet ihr mal sagen, wenn ihr einfach abhaut! Was habt ihr überhaupt gemacht?"
Ich sah Anja an, doch die schüttelte nur den Kopf.
"Wir haben nichts gemacht", antwortete ich und stand auf.
Wir ließen den Kopf hängen und gingen wieder in den Party-Raum.
Es war dunkel und eine Disco-Kugel hing an der Decke. Die Musik war gewaltig laut, Daniel machte den DJ.
Erst einmal feierten wir weiter, doch irgendwann ging ich zu Lise, der Anja alles erzählt hat. Lise war nicht mehr sauer und verständnisvoll meinte sie zu mir: "Okay, ich verstehe das ja, aber meine Eltern haben halt die Verantwortung und wenn irgendjemandem etwas passiert sind sie bzw. ich Schuld!"
Ich nickte ergeben und entschuldigte mich mehrmals.
"Schon okay, Lucy. Und jetzt versuchen wir, weiterzufeiern, okay?"
Ich lächelte und die Party ging weiter. Mehr oder weniger.
"Verdammt, vergiss ihn doch, Anja! Er ist so ein Arsch, ich weiß gar nicht, was du and em findest!"
Ich schimpfte, was das Zeug hielt. Ich konnte diesen Lukas nicht ausstehen und versuchte schon seit Wochen, ihn Anja auszureden.
"Ich hätte nicht hierher kommen sollen", maulte Anja nur, aber ich machte weiter.
"Hallo, Anja? Du wirst ihn noch tausendmal fragen und immer wird er absagen. Das ist so, weil er ein Arschloch ist."
"Lukas ist nie im Leben ein Arschloch im Gegensatz zu jemand bestimmten", war Lucys Kommentar.
Ach, warum waren die beiden nur so naiv?
"Weil er nett zu uns ist, Lisa!", antwortete Lucy, aber sie konnte mich nicht überzeugen.
"Lucy, du hättest nie aufgeben sollen, du hättest tausendmal bessere Chancen als Anja sie hat."
"Danke, Lisa!" Anja war beleidigt.
Und Lucy unterstützte sie auch noch.
"Echt, Lisa, das ist keine Hilfe!"
"Mann, jemand muss euch doch die Augen öffnen!"
Lucy seufzte und sagte: "Du willst doch nur davon ablenken, dass du und Simon nicht weiterkommt. Ihr kommt überhaupt nicht weiter, ihr macht Schluss, kommt wieder zusammen, macht wieder Schluss und dann meldet er sich doch wieder und er bittet dich, mit dir zusammen zu sein. Wer ist hier komisch, Lukas oder Simon?"
"Das ist etwas Anderes, ich bin wenigstens mit ihm zusammen."
"Ach, du bist wieder mit ihm zusammen?"
Ich nickte.
"Und warum machst du nicht endlich Schluss, du willst das doch gar nicht mehr!"
Ich schwieg einen Moment, dann antwortete ich: "Weil ich noch in ihn verliebt bin."
Fortsetzung folgt...